Freitag, 4. Juli 2008

Abstammung des Menschen

Die Abstammung des Menschen?

Der Darwinismus liegt heute in den letzten Zügen und wehrt sich verzweifelt; in den Gewaltstaaten läßt er sich als Staatsdoktrin militärisch sichern. Ich verstehe hier unter Darwinismus lediglich die Lehre von der Abstammung des Menschen vom spezifischen Tier, also vom Affen, und lasse im übrigen die bedeutenden Verdienste Lamarcks und Darwins aus dem Spiel.

Beide großen Männer nun haben bei ihren Forschungen über die Entwicklung und Abstammung des Menschengeschlechtes stets und in betonter Weise von dessen moralisch‑geistigen Eigenschaften abgesehen, die nicht mit in den Entwicklungsprozeß einbezogen waren. Beide nämlich waren fromme Männer. In dieser Ausklammerung darf man aber ja nicht eine Aktion zur Herstellung des Eliminates erblicken, wozu das Herauswerfen (exigere - exact) der geistig‑moralischen Eigenschaften Veranlassung geben könnte. Denn beim Prozeß der Eliminierung wird niemals das Wesentliche herausgeworfen. Die theoretische Mechanik wirft wohl die Reibung heraus, aber natürlich nicht die Bewegung.

Das Geistige aber - um es hier kurz so auszudrücken - ist das Wesentliche am Menschen, das in der übrigen Natur nirgends vorkommt. Die Fragestellung Lamarck und Darwins lautet demnach nur: kann man den Organismus des Menschen nach denselben Entwicklungsgesetzen wie den der übrigen Tiere aus dem Organismus eines andern, also hier des Affen, ableiten? Und sie bejahten diese Frage. Nicht aber haben sie behaupten wollen, daß sie selbst, Lamarck und Darwin in Person, "vom Affen abstammten", so, wie sie von ihren Großeltern stammen. Das aber ist die mißverstandene Deutung durch die Darwin‑Epigonen. Die Ableitung der beiden verschiedenartigen, aber morphologisch ähnlichen Organisationen voneinander hätte keinerlei Aufsehen erregende Macht, weil unmetaphysisch, und an sich, wie der Jurist sagen würde, "schlüssig". Die Aufregung kommt erst durch die zweite, die Epigonen‑Deutung hinein und setzt allemal einen Denkfehler voraus.

Als letzte Drohung nun haben die Epigonal‑Darwinisten in den vergangenen Jahrzehnten bei ihrem verzweifelten Rückzugsgefecht die Behauptung aufgestellt, das gefürchtete "Zwischenglied" (missing link) zwischen Affe und Mensch sei längst gefunden, und dieses entscheide - nach ihrer Doktrin - ja alles. Wir wollen dem Gegner einmal, ehe wir den Beweis erbringen, daß es ein solches "Zwischenglied" weder gibt noch geben kann, alle günstigen Karten in die Hände spielen. Wir wollen also einmal annehmen, daß es sich bei diesem Zwischenglied nicht um ein paar kümmerliche Unterkiefer, Schädelknochen usw. handelt - wie das so üblich ist ‑, sondern um ganze Skelette, und diese in solcher Anzahl, daß über etwa entstehende Lücken gar kein Streit entstehen kann, weil eine sichtbare Kontinuität hergestellt ist. Das könnte in der Tat einmal kommen.

Das Weitere aber, das wir konzedieren, spielt sich nun freilich in einem phantasierten Reiche ab: es seien nicht nur die Skelette erhalten, sondern die ganzen Leiber und diese lebten. Wir befänden uns dann in einer Art paläontologischem Garten, in welchem sich in tollem Durcheinander offensichtliche Menschen niederster Rasse, "Menschenaffen" und "Affenmenschen" (was beides lediglich nominalistische Etiketten sind), dann "höhere" Affen und gewöhnliche Affen herumtrieben. Es ist ein wahres Paradies für die Epigonaldarwinisten, denn hier ist durch unsere Freigebigkeit ein lückenloser Zusammenhang sichtbar hergestellt. Auf der einen, linken Seite des riesigen Territoriums kreischen alle Affenarten auf den Bäumen und knacken Nüsse - werfen sogar mit ihnen! ‑, auf der andern, rechten, sieht man die ersten Hütten errichtet und Feuer angefacht. Dazwischen treibt sich allerhand Zwischenvolk herum, das mit Steinen Tiere erlegt oder gar instrumentartige Gegenstände dazu gebraucht.

Diesem freigebigen Sammelmaterial sitze nun ein Gremium von Gelehrten gegenüber, das die Sache zu begutachten habe. Und nun beginnt das Messen und Wiegen; jedes einzelne Exemplar wird vorgenommen, Größe und Stellung der Eckzähne festgestellt und registriert, das Schnauzenbild morphologisch genau aufgezeichnet, die Länge der Extremitäten im Vergleich zum übrigen Körper gemessen, Blutproben gemacht, das Gehirn gewogen und morphologisch analysiert usw. Siegreiche Telegramme fliegen in alle Welt von der nunmehr festgestellten unzweifelhaften Abstammung "des" Menschen vom Affen. Wer hier überhaupt noch zu zweifeln wagt, der zeigt damit seinen reaktionären Willen und, daß er im Dienste finsterer Mächte stehe.

Indessen es befindet sich im Gremium ein Mann, den man eigentlich nicht gern mit dabei haben wollte, denn man wollte unter sich sein; er ist nämlich ein Außenseiter, der sogar am Bestehen der darwinistischen Stammbäume zu zweifeln wagt, die doch seit Jahrzehnten in jedem Schulbuch der Biologie stehen. Dieser anmaßende Mann hat zudem eine philosophische Art, die Grundbegriffe der gemeinsamen Wissenschaft in Frage zu stellen: ihm ist, wie er herausfordernd sagt, die Wahrheit wichtiger als die Wissenschaft. Indessen man hat ihn mitnehmen müssen, weil er ein angesehener Forscher ist, der den Doktortitel trägt und ein viel gelesenes Werk über die Erdzeitalter geschrieben hat. Bei einer Sitzung des Gremiums nun meldet er sich zu Wort und sagt:

"Meine Herren Kollegen, ich habe doch meine ernsten Bedenken gegen die Richtigkeit der Methode, die wir hier anwenden. Ich kann mir denken, daß jeder von Ihnen, die Sie aus so verschiedenen Ländern stammen, das Bedürfnis hat, den Zoologischen Garten seiner Hauptstadt mit einem der vielen Exemplare zu beschenken, die Sie für ,Zwischenglieder' zwischen Mensch und Affe halten und daher mit den Namen ,Affenmenschen' oder ,Menschenaffen' betiteln. Aber bedenken Sie, meine Herren: Sie haben auch Ihre Feinde, zum Beispiel der Klerus aller Konfessionen, die ja bekanntlich Ihre Lehre von der kontinuierlichen Entwicklung vom Affen zum Menschen bestreiten, weil sie sie für volksverderblich halten.

Ich bestreite sie, wie Sie wissen, auch, aber aus anderen Gründen. Doch bedenken Sie: hinter jenen stehen gewaltige Teile der Bevölkerung, die sich durch Ihre Arbeit in ihrem Glauben bedroht fühlt.

Wenn nun Ihre Lehre von der Kontinuität falsch ist - was Sie natürlich gar nicht in Erwägung ziehen, weil es Ihre Arbeitshypothese ist - und es stellte sich heraus, daß jedes auf der vorgeblichen Entwicklungslinie vom Affen zum Menschen betroffene Individuum entweder Mensch oder Affe ist ‑, wie wollen Sie sich dann gegen den Vorwurf der Freiheitsberaubung schützen, wenn Sie so jemanden in den Zoologischen Garten sperren ...? Oder gar: Sie haben einige getötet, um das Gehirn zu wiegen - wie wollen Sie gegen den Vorwurf des Mordes gefeit sein ...? Ich glaube zwar beobachtet zu haben, daß Sie sich immer recht scheu in die Nähe jener "ersten Hüttenbauer" begaben, wenn Sie diese Absicht hatten, und mir ist auch so, als sei es nie dazu gekommen. Warum nicht, das ist mir wohl bekannt, nicht aber Ihnen mit Ihrem durch Wissenschaft getrübten Auge. (Unruhe im Gremium ...) Wenn aber die Grenzen zwischen Affe und Mensch nicht ,fließend' sind, wie Sie behaupten, sondern scharf, wie ich behaupte: so sind Sie in jedem Falle entweder Jäger oder Mörder."

"Wir danken Ihnen, verehrter Herr Kollege, für Ihre interessanten Ausführungen", sagte der Vorsitzende nicht ohne einen ironischen Zug. "Aber gegen Ihre Bedenken gibt es ein völlig einwandfreies Mittel: durch unsere Meßgeräte können wir einfach bestimmen, wer - juristisch gesehen - Affe ist und wer Mensch. Von einer bestimmten Länge der Eckzähne, von einem bestimmten Winkel, in dem sie zum Unterkiefer stehen, von einem bestimmten Verhältnis der Länge der Extremitäten zum Oberkörper, von einer bestimmten Wölbung der Schädeldecke und einem bestimmten Gewicht des Gehirnes an können wir einfach sagen: was jenseits dieser Grenze liegt, ist Mensch und genießt daher den Schutz der Gesetze."

,Aber", führt der Zweifler los, "das ist ja reiner Nominalismus! Dadurch, daß Sie ein Lebewesen zum Menschen erklären, wird es ja in der Realität kein Mensch. Und wie, wenn das Menschsein von ganz anderen Dingen abhinge als von denen, die Sie an Ihren vorgeblichen ,Zwischengliedern' messen können ...?"

"Aber das sind doch philosophische Abstrusitäten, verehrter Herr KolIege, die Sie hier in eine wissenschaftliche Sitzung hineinplatzen lassen!"

"... ohne welche Sie aber diese lebenswichtige Frage in Wahrheit nicht entscheiden können !"

Zwischenruf des Präsidenten: "Ich bitte die Herren, bei der Sache zu bleiben !"

"Gut! Dann will ich Ihnen konzedieren, daß Sie sich mit Ihrer Methode, durch die ein Mensch de jure Mensch wird, vor Bestrafung sichern können. Ich kann mir nun aber folgenden Fall denken: Sie gehen mit der Flinte los, um eines jener Lebewesen, das nach Ihrem Meßsystem zweifellos als Affe signifiziert ist, zu erlegen, denn Sie wollen sein Gehirn morphologisch begutachten. Wie es aber so in seinem Blute daliegt und mit dem Tode ringt, kommen statt bloßer Tierlaute so etwas wie Worte über seine ungefügen Lippen. Was dann ...? Vor dem Strafgesetzbuch sind Sie gesichert - sind Sie es aber auch vor Ihrem Gewissen?"

Hier greift die Glocke des Präsidenten, begleitet von stürmischen Protestrufen, ein und gebietet dem Redner Schweigen. Das sei eine ganz ungehörige Betrachtungsweise und widerspreche allen Grundsätzen der Wissenschaft. "Aber Sie haben sich geirrt! Und darauf kommt es an. Ihre Methode ist falsch!" Ein Fanatiker stellt den Antrag, den Kollegen Dacqué von der weiteren Mitarbeit auszuschließen. "Dagegen habe ich nichts. Vorher aber ersuche ich Sie, mir zu gestatten, ein unfehlbares Mittel, das ich besitze, anzuwenden, um herauszubekommen, nicht, wer Mensch sein soll, sondern wer Mensch ist."

"Und dieses Mittel wäre ...?" "Ich frage einfach." "Ich glaube, wir heben die Sitzung auf!" sagte der Präsident.

"Das wäre bedauerlich für Sie, meine Herren und die Wissenschaft, nicht aber für mich und die Wahrheit. Es steht in Ihrem Belieben, mein Angebot anzunehmen oder nicht, denn ich bin ja, seit der Ausschlußantrag gegen mich vorliegt, sozusagen nur ein Geduldeter."

Man konnte das nicht gut ablehnen, wollte es auch nicht, denn man hoffte, auf diese Weise den lästigen Nörgler durch eine unüberwindbare Blamage ein für allemal loszuwerden.

Der Außenseiter führte seine Kollegen auf den Platz, auf dem die Glocke stand, die beim Füttern geschlagen wurde. Auf ihren Ton hin strömten von allen Seiten die Einwohner des Gartens zusammen. Es gab aber kein Futter, sondern der Sonderling stellte sich hin und rief mit lauter Stimme in der Sprache, die er eben geschildert hatte:

"Wer von euch ist ein Mensch ...?"

Auf diesen ungewohnten Anruf hin ging ein eigentümliches Zucken und eine Verwirrung durch die Lebewesen; man konnte deutlich bemerken, wie sich etwas abschied. Die einen verstanden den Ruf nicht und trotteten, als sie merkten, daß es doch kein Futter gab, auf ihre Bäume zurück. Andere aber scharten sich um den Frager, erhoben die Hände, wie als meldeten sie sich, und sagten in ihrer eigenen Sprache so etwas wie "Ja" und "Ich".

"Sehen Sie, meine Herren, das wußte ich im voraus. Um zu klären, was sich hier begab, muß ich jetzt aber pedantisch werden. Auf meinen Anruf hin haben sich bestimmte Exemplare dieser von Ihnen als Affenmenschen oder Menschenaffen bezeichneten Tierart abgesondert und zu mir, also auch zu sich gesagt, daß sie Menschen seien. Ich hätte auch eine andere Frage an sie richten können, aber schließlich lag uns diese am nächsten. Dadurch allein aber, daß sie sie beantworteten, sind sie Menschen, und durch nichts anderes.

Den Akt des Selbstbewußtseins kann niemand vollziehen außer dem Menschen. Und zwischen dem Sagenkönnen: ,Ich bin ein Mensch' und dem Nicht‑Sagenkönnen ,Ich bin ein Mensch!' (weil man nämlich keiner ist) gibt es keine Entwicklung. Man kann das entweder oder man kann das nicht, ein Drittes gibt es nicht. Oder machen Sie mir das einmal vor! Halbwachzustände, wie wir sie des Morgens beim Erwachen oder im Alkoholrausch erleben, haben damit nichts zu tun; das sind lediglich psychologische Trübungen, die vorübergehen: unter ihnen aber bleibt immer die volle unteilbare gradlose Fähigkeit der Selbsterkenntnis erhalten.

Diese aber, und diese allein ist die differentia specifica zwischen Tier und Mensch - ich hoffe, Sie durch diese philosophische Erinnerung nicht in ihrer wissenschaftlichen Würde gekränkt zu haben ‑, und diese allein ist es demnach, deren Entwicklung aus ,niederen' Formen sie nachweisen müßten, wenn Sie Ihre - nicht Darwins - Behauptung von der Abstammung des Menschen vom Tier aufrechterhalten wollen. Da es aber nicht nur keine ,niedere' Form des Selbstbewußtseins gibt, es also entweder da ist oder nicht, und da im gesamten Tierreich nichts dergleichen auch nur andeutungsweise vorkommt, so ist nichts unsinniger, als zu behaupten, der Mensch stamme vom Affen ab.

Welchen Täuschungen Sie sich aber mit Ihrer Registrierungsmethode nach körperlichen Merkmalen aussetzen, das haben Sie bei der Szene erleben können, die nach meinem Anruf folgte; Lebewesen, die Sie auf Grund jener Merkmale zu den Affen gerechnet hatten, haben sich als Menschen gemeldet, und umgekehrt hatten vorgebliche Menschen nichts Eiligeres zu tun als davonzulaufen, nachdem sie gemerkt hatten, daß es doch kein Futter gab. Was aber folgt daraus für die Wissenschaft? Dies: daß alles Auffinden vorgeblicher ,Zwischenglieder' gänzlich belanglos ist, denn - es gibt keine. Die Natur hat im Falle Affe - Mensch gewissermaßen in Dubletten gearbeitet, wie sie das hie und da öfters getan hat, aber ein Abstammungsverhältnis ist damit nicht gegeben, weil es hier jedenfalls unmöglich ist.“

Da das Gremium unruhig wurde, versuchte der Sonderling einen versöhnenden Ton anzuschlagen und fuhr fort:

"Ich weiß, meine Herren Kollegen - vorläufig sind Sie das ja noch ‑, wie schwer es für einen wissenschaftlich geschulten Kopf ist, grundlegende Neuigkeiten zu akzeptieren. Eine Wissenschaft verläuft, besonders, wenn sie schon lange genug betrieben wurde und sich der begeisterten Mitarbeiterschaft des Laienpublikums erfreut, unbewußt in den Gesetzen des Massenwahns und hinterläßt eingefahrene Bahnen im Denken - vielleicht sogar im Gehirn - der Forscher. Die Wahrheit dagegen unterliegt diesem Schicksal nicht. Wahrheit im substantiellen Sinne - möchte ich sagen - tritt am klarsten, ja wohl einmalig bei jeder Wissenschaft an ihrer Entstehungsstelle hervor, das heißt beim Genius.

Weder Lamarck noch Darwin unterlagen dem Massenwahn, und ohne diese unsere Meister gäbe es keine Paläontologie und keine Phylogenese. Sie wissen, aber Sie scheinen es unter dem heimlichen Druck des Massenwahns vergessen zu haben, daß beide großen Forscher es abgelehnt haben, das Wesen des Menschen mit unter die Entwicklungsgesetze zu stellen.

Sie beschränkten sich daher darauf, seine Gestalt aus der des Affen oder eines gemeinsamen Vorfahren, der aber äffisches Gepräge gehabt haben muß, abzuleiten, als ob das in Wirklichkeit möglich wäre. Sie bejahten diese Möglichkeit und nahmen sie als Wirklichkeit an.

Aber auch das hat sich als ein Irrtum herausgestellt, nachdem die jahrelange fleißige Arbeit vergleichender Anatomen das hat verneinen müssen. Wir wissen heute mit der Zuverlässigkeit eben der Wissenschaft, daß es keine Entwicklung vom Affen zum Menschen gegeben haben kann, und zwar auf Grund des Abel‑Dollóschen Irreversibilitätsgesetzes, wonach es Entwicklung immer nur in der Richtung vorwärts gibt ohne Möglichkeit der Umkehr.

So weitgehend spezialisierte Organe also, wie die Extremitäten des Affen, die sich ganz und gar auf Baumleben zu entwickelt haben, können nicht mehr zurück, um die ganz andersartigen der Form nach älteren Gliedmaßen des Menschen zu bilden.

Mein Ergebnis also lautet: der Mensch ist ein genus sui generis, das von keinem tierischen Vorfahr, also auch nicht vom Affen ableitbar ist."

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